FLINTA* - Angebote, sensibel für Diskriminierung

Männliche Normen im (Berg)Sport 

März 2022, 4 Tage auf Skitouren mit einer Gruppe bestehend aus 12 Frauen in Graubünden. Zwei davon Trainerinnen C im Skibergsteigen und die Leiterinnen unserer Gruppe. Was uns zwischen schneebedeckten Gipfeln, tosenden Wind und strahlendem Sonnenschein auch begegnet, sind von uns männlich gelesene Menschen, die uns am Berg fragen, wo „denn unsere Männer seien“, als wären wir als Gruppe ohne Männer nicht komplett. Eine unserer Leiterinnen erzählt von ihrer Hochtour im Sommer mit zwei Freundinnen und dem Kommentar, den sie dort am Berg bekam: „Wo ist denn euer Bergführer?“ Es scheint immer noch nicht „normal“, dass Frauen ohne Männer am Berg unterwegs sind und es wird oft implizit ihre Kompetenz angezweifelt, dem gewachsen zu sein (vgl. auch Artikel „Frauen steigen auf“ in DAV, 2007). 

Ein Standardszenario in Boulderhallen, wenn ich einen komplizierten Boulder probiere: Ich bin gerade dabei an einer Beta zu basteln. Ein cis Mann kommt ungefragt vorbei und gibt mir Tipps, wie die Route zu klettern sei, obwohl er die Route noch nicht selbst geklettert ist. Und hört auch nicht damit auf, wenn ich offensichtlich an meiner eigenen Beta weiterbastele. Oder ein cis Mann kommt vorbei und klettert mir die Route vor, oft mit Muskelkraft aber ohne Technik; oder sie gelingt im nicht, woraufhin er selbst beginnt an der Route zu projektieren. An sich stört es mich nicht, dass andere Menschen die gleiche Route projektieren wie ich, im Gegenteil, ich finde es schön, wenn man gemeinsam daran basteln oder sich gegenseitig inspirieren kann. Aber wenn der Auslöser des Projektierens an der selben Route eine „ich zeig dir mal wie das geht“-Haltung ist, dann ist das gleichzeitige Projektieren an der Route selten ein Miteinander auf Augenhöhe und ich habe das Gefühl, von der anderen Person in meiner Performance in der Route bewertet zu werden. Auch erlebe ich oft, dass die Person in der Route wenig im Blick hat, dass ich die Route auch noch machen möchte und ich mir meine Versuche erkämpfen muss, anstatt miteinander zu kommunizieren und sich entspannt abzuwechseln. Insgesamt entsteht bei mir in diesen Situationen ein inneres Gefühl von „sich beweisen müssen“, und „nicht zu lange brauchen dürfen“ – und damit geht der Spaß am Ausprobieren der Route für mich verloren.  

Es ist ja meist nett gemeint – aber nett gemeint kann trotzdem ganz schön frustrierend sein.  

Dieses ungefragte Tipps geben stärkt bei mir das Gefühl, dass mir nicht zugetraut wird, kompetent im Sport zu sein. Es ist anstrengend, dass das kein Einzelfall ist, sondern immer wieder passiert.
Dabei stört es mich nicht, dass sich Menschen beim Sport Tipps geben, sondern wie und aufgrund welcher Zuschreibungen wer wem die Tipps oder „Tipps“ gibt. Ich würde vermuten, dass solche Menschen auch einem Mann mit definierten Bizeps nicht mit der gleichen Selbstverständlichkeit Ratschläge geben, wenn dieser an einem Boulder bastelt, der schwerer ist als ihr eigenes Niveau. Tatsächlich sind es auch immer cis Männer, von denen diese ungefragten Ratschläge kommen.  

Was ich mit diesen Beispielen sagen will: Weiblich oder feminin gelesenen Menschen werden im Kontext Berg(sport) immer noch Kompetenzen abgesprochen. Das ist frustrierend und kann zu einem Druck führen, sich erst recht beweisen zu müssen, was einem die Leichtigkeit und Freiheit nimmt, auch mal mit guten Gefühl Scheitern zu können.  

Neben diesen Erfahrungen gibt es eine weitere Dynamiken im Sport, die ich als Resultat eines vergeschlechtlichen Wertesystems sehe, dass gewisse Eigenschaften aufwertet und als männlich bezeichnet und andere abwertet und als weiblich bezeichnet. Damit meine ich, dass Eigenschaften, die traditionell Männern zugeschrieben werden, wie Quantifizierbarkeit, Ehrgeiz und Leistungsstreben eine sichtbarere und wichtigere Rolle in Sport und Kletterkultur spielen als das (traditionell weiblich konnotierte) emotionale Erleben währenddessen.  

Im Klettersport steht oft im Vordergrund, wie schwer die Routen sind, die wir klettern, anstatt, ob es Spaß gemacht hat oder schöne Bewegungen dabei waren. Was eine Herausforderung ist wird dabei tendenziell an der Leistung der stärksten Kletter*innen gemessen, leichtere Routen werden oftmals von stärkeren Kletter*innen etwas belächelt, weil sie für sie keine Herausforderung sind.  

Schöner fände ich den Zugang zu sagen „das, was du in einer 6 erlebst ist emotional ähnlich wie das was ich in einer 8 erlebe“. Das spricht einen Erfahrungshorizont, den eine Person die 8er klettern und eine Person die 6er klettert teilen, an, anstatt sich über die eigene Leistung voneinander abzugrenzen. Dass nicht nur eine Person, die auch 6en klettert einer Person, die gerade eine 6 geschafft hat Anerkennung geben kann, sondern auch eine Person, die 8er klettert.

Oder nochmal zurück zum Skitourenbeispiel am Anfang: Da fände ich es schön, wenn nicht nur viel über die Touren, in denen riskante Entscheidungen gerade noch gut gegangen sind, geredet wird, oder Mut, der teilweise auch Leichtsinnigkeit war, zu feiern, als über die, in denen wir kurz vorm Gipfel umgekehrt sind. Was davon definieren wir im Nachhinein als Stärke und warum?
Um die Bergsteigerin Gaby Hupfauer zu zitieren: „Was heißt schon eine Niederlage! Am Makalu war umkehren und weiterleben für mich keine Niederlage“ (zitiert aus DAV, 2007: Die Kunst die Perspektive zu wechseln) 

Natürlich finde ich es auch schön sich neuen Herausforderungen zu stellen und es reizt mich, eigene Grenzen und mentale Ängste zu überwinden. Aber mir ist es wichtig, dass es nicht nur um “höher, stärker, schneller, weiter” geht. Dass ich eine Route klettern kann weil ich sie schön finde. 

Dass ich nicht immer an mein Limit gehen muss sondern mir aussuchen kann, wann ich es will. Dass nicht nur ich – sondern die ganze Gruppe – am Berg eine gute Zeit hat, was manchmal Kompromisse bedeutet. Dass auf Touren Verständnis für längere Pausen da ist, wenn man sich um die Menstruationstasse zu leeren doch mal weiter weg durch tieferen Schnee kämpfen musste. Dass ich mich auch frei fühlen kann, sichtbar zu pinkeln, obwohl es umständlicher, auffälliger und ein nicht so gewohnter Anblick ist wie wenn ein cis Mann mit einem Penis pinkelt.

Und genau da sehe ich ein Potenzial von FLINTA* only Orten: Als Rahmen, der ermutigen soll, sich auszuprobieren, mit Menschen, die ähnliche Erfahrungen teilen. Und um Selbstbewusstsein für die eigene Perspektive zu erlangen, ohne sie gleich gegenüber der gängigen (männlichen) Perspektive als gleichwertig verteidigen zu müssen.  

Weiterführende Links


lokales Freiburger Netzwerk:

https://trans-all.org/ 

https://www.queerfreiburg.de/ 

https://fluss-freiburg.de/ 

https://www.rosahilfefreiburg.de/ 

JDAV zu Gender:  
https://www.jdav.de/wissen/gender/die-jdav-ist-bunt_aid_33695.html 

zitierte Quellen:  
DAV, 2007: Die Kunst die Perspektive zu wechseln. Für Chancengleichheit, Vielfalt und Geschlechtergerechtigkeit. Ein Wegweiser zu einer neuen Berg-Vereins-Kultur.  
https://www.alpenverein.de/chameleon/public/eaa50542-acbe-90bb-ff48-a705398ccd67/Frauen-im-DAV_18323.pdf

Winter Ronan, 2022:  
Männer sind nicht das Patriarchat – Warum ich nicht in FLINTA* Spaces gehe | Raw Nerve 

Anmerkungen

  • Manche Begriffe wie männlich und weiblich schreibe ich kursiv, um zu betonen, dass ich diese nicht als natürliche Eigenschaften, sondern gesellschaftlich konstruierte Kategorien verstehe 
  • Cis: das Geschlecht, dass die bei Geburt zugeschrieben wurde ist auch das Geschlecht mit dem du dich identifizierst
  • wenn z.B. ein trans Mann nicht als trans erkannt, sondern als cis Mann „durchgeht“, dann hat er ein gutes Passing

Grundkurs & Aufbaukurs – FLINTA* only 

Du empfindest Leistungsdruck und dominantes Auftreten beim Sport als unangenehm und hast Lust, frei von solchen Dynamiken das Klettern kennenzulernen? Dann bist du in unseren Kursen genau richtig!

Grundkurs – Klettern im Toprope – FLINTA*

Aufbaukurs – Klettern im Vorstieg – FLINTA*

Hier legen wir ein Augenmerk darauf, einen Raum aufzumachen, der sensibel für Diskriminierungen und patriarchale Muster im Sport ist und versucht diese zu vermeiden. Geleitet wird der Kurs von FLINTA* (Frauen, Inter*,Trans- und A-Gender) Trainer*innen. 

Was bedeutet FLINTA* 

FLINTA* ist ein Sammelbegriff für Frauen, Lesben, inter*, nicht-binäre, trans und a-gender Personen; für alle, die aufgrund ihrer Geschlechtsidentität patriarchal diskriminiert werden. Weitere Menschen, auf die das zutrifft und deren Geschlechtsidentität nicht in FLINTA eingeschlossen ist, werden mit dem Sternchen repräsentiert. 

Hier nochmal eine kleine Aufdröselung der Begrifflichkeiten: 

Mit Frauen sind cis und trans Frauen gemeint. Cis bedeutet, sich mit dem bei der Geburt zugeordnetem Geschlecht zu identifizieren. Wenn dir also bei Geburt das weibliche Geschlecht zugeordnet wurde und du dich als Frau identifizierst, dann bist du ein cis Frau. Trans sein bedeutet, sich nicht mit dem Geschlecht zu identifizieren, das einem bei Geburt zugeordnet wurde. Wenn beispielsweise bei Geburt das weibliche Geschlecht zugewiesen wurde und du dich nicht als Frau identifizierst, dann bist du trans. Trans Menschen können in das binäre Geschlechtersystem passen, das heißt das „andere“ binäre Geschlecht haben als das, was ihnen bei der Geburt zugeordnet wurde, trans Menschen können aber auch nicht-binär sein, das heißt, sich jenseits des binären Geschlechtersystems (männlich-weiblich) verorten. 

Lesben tauchen im Begriff FLINTA* als eigene Identitätskategorie auf. Dies hat verschiedene Gründe:  
Lesbisch sein lässt sich nicht (nur) als reine Sexualität definieren – dies würde wichtige Elemente lesbischer Identität außer Acht lassen. Viele Lesben definieren sich nicht oder wenig als Frau, sondern primär als Lesbe und werden auch gesellschaftlich nicht als heterosexuelle cis Frau sondern als Lesbe gelesen und bewertet. In der Frauenbewegung haben sie sich von Anfang an engagiert, mussten dabei aber dafür kämpfen, dass ihre Lebensrealität auch thematisiert und sichtbar wird.  

Inter* sind Personen, deren biologische Geschlechtsmerkmale sich nicht klar in männlich oder weiblich einordnen lassen. A-Gender bedeutet, Geschlecht als Kategorie für sich selbst nicht zu benutzen. 

Salopp gesagt enthält der Begriff FLINTA* quasi „alle außer cis-Männer“. 

Warum FLINTA* only spaces?  

FLINTA* only spaces – um dieses Missverständnis vorwegzunehmen – sind nicht mit dem Ziel da, cis Männer dauerhaft aus allem auszuschließen oder sie zu verteufeln, sondern um Menschen, die nicht der patriachalen Normen von Männlichkeit entsprechen ein Raum zu geben, sich in einer patriachal geprägten Welt frei(er) entfalten und ausprobieren zu können.  

Ich möchte cis Männern nicht absprechen, ebenso unter patriarchalen Normen, wie den gesellschaftlich dominanten Vorstellungen von Männlichkeit zu leiden.  
Trotzdem sind cis Männer diejenigen, deren Geschlechtsidentität am Ende des Tages Aufwertung erfährt, denen aufgrund ihres Geschlechtes nicht die gesellschaftlich als erstrebenswert bewerteten Kompetenzen aberkannt werden (zumindest im Sport nicht – wie in den Beispielen oben erwähnt). Die männlichen Zuschreibungen (stark sein, Selbstsicherheit, Rationalität) sind – so einschränkend sie sein können, weil Männer natürlich auch Gefühle zeigen dürfen und sich auch mal Hilfe holen dürfen, oder es auch Männer gibt, die eine schöne Technik beim Klettern haben – letztendlich die, die gesellschaftlich Anerkennung bekommen.  

Manchmal ist es deshalb für FLINTA* Menschen, denen Fähigkeiten abgesprochen oder die nicht in gesellschaftliche Normen (wie Männlichkeit, oder cis Geschlechtlichkeit) passen – sehr hilfreich und empowernt, einen Rahmen zu haben, um sich jenseits von genderspezifischen Normdruck auszuprobieren. Die Abwesenheit von cis Männern verringert dabei oft den Normdruck, auch wenn es natürlich auch sehr reflektierte, rücksichtsvolle cis Männer gibt, die Leistungs- und Dominanzmuster nicht teilen wollen. Dadurch dass diese von außen betrachtet trotzdem oft in die Normen von Geschlecht passen zu scheinen können auch sie ungewollt zu Normdruck beitragen. 

Ebenso sind auch auch FLINTA* nicht frei von patriachaler Sozialisation, lernen sich gewisse patriachale Verhaltensweisen anzueignen und innerhalb der Gruppe gibt es oft auch Normen (siehe übernächster Absatz). Trotzdem teilt diese Personengruppe die Erfahrung, aufgrund des eigenen Geschlechtes nicht ernst genommen zu werden, was eine Grundlage für einen verständnisvollen und solidarischen Umgang miteinander sein kann.  

Ein FLINTA* only Space kann also kein Versprechen sein, komplett frei von patriarchalen Mustern zu sein, sondern nur der Versuch, sensibel mit diesem umzugehen sowie eine Grundlage von gegenseitigen Verständnis für erlebte Diskriminierungen, Abwertungen und einschränkende Dynamiken zu haben; ein Versuch, den Druck zu nehmen, sich zu beweisen oder einem gewissen Bild zu entsprechen und durch die Freiheit, Dinge auszuprobieren zu ersetzen.  

Es gibt auch Kritik an FLINTA* Räumen aus queerer Perspektive, die ich hier gerne noch erwähnen möchte. Vielleicht ist es ein bisschen vereinfacht zu sagen, alle FLINTA* hätten Verständnis für ihre jeweiligen Diskriminierungserfahrungen. Als cis Frau verstehst du vielleicht nicht die Diskriminierungen, die eine trans Person erlebt. Sind nicht vielleicht  Erfahrungen von cis Personen und trans Personen unterschiedlicher als die von cis Frauen und cis Männern; und die Kategorie FLINTA* ein halbherziger Versuch, die Kategorie Frauen um weitere Geschlechtsidentitäten zu erweitern und sich dadurch mit einer regenbogenfarbenen Queerness Flagge zu schmücken? 

Ein trans Mann, schreibt in seinem Essay „warum ich nicht in FLINTA* Räume gehe“ (Winter Ronan, 2022) über die Problematik, dass FLINTA* Räume oft FLINTA *schreiben, aber eigentlich Frauen meinen, sprich ein gewisses Bild von Weiblichkeit vorausgesetzt wird, dass man in diesem Raum akzeptiert oder nicht hinterfragt wird. Trans Männer mit hohem passing, oder trans Frauen, deren Körper männlich gelesen werden, können sich  in solchen Räumen unwohl fühlen und Fragen gestellt bekommen, wie „bist du sicher, dass du hier richtig bist?“ – was ausschließend ist und gewisse Weiblichkeitsnormen in diesen Räumen sichtbar macht. Diese Normen führen dazu, dass genannte Menschen sich nicht zugehörig fühlen, was paradox ist, wenn ein Raum eigentlich extra dafür ausgeschrieben ist, dass gewisse Menschen sich zugehörig fühlen sollen. 

Ich habe mich trotz dieses wichtigen und richtigen Einwandes dafür entschieden, einen FLINTA* Raum anzubieten und keinen Frauenraum. Ich finde es wichtig, dass im DAV beim Thema Geschlechtergerechtigkeit nicht nur an die Gleichberechtigung von cis Frauen und cis Männern gedacht wird, sondern auch queere Menschen und Perspektiven miteinbezogen werden. 

Die Kapazitäten zwei Projekte auf einmal zu starten (also getrennte Kurse für Frauen und Kurse für trans, Inter* oder nicht-binäre Menschen) sind leider momentan nicht da. Ich will die Teilnehmenden darum bitten, auf dem Schirm zu haben, dass sie in einem FLINTA* Kurs nicht nur Personen, die sie weiblich oder genderqueer lesen – erwarten können, sondern auch männlich gelesene Personen. 

Ich weiß nicht, ob ein FLINTA* Kurs am Ende die beste Option ist, oder ob die Erfahrung zeigen wird, dass ein Frauenkurs, und ein TIN getrennt voneinander mehr Sinn ergeben… oder ein antipatriachaler Kurs, der für alle Geschlechter offen ist. Probieren geht über studieren und ich will das Projekt starten und freue mich über Feedback, um das Angebot gegebenenfalls anpassen zu können.