Vom Bouldern zum Klettern

Vom Bouldern zum Klettern

 

Bouldern und Seilklettern gehören heute zweifelsohne zu beliebten Freizeitaktivitäten. In die Vertikale geht es in beiden Fällen, doch haben die Sportarten jeweils ihren ganz eigenen Charakter. Höhe, Ausrüstung, Kraftaufwand, Taktik und die Psyche sind dabei nur einige der Komponenten, bei denen sich die Unterschiede zeigen. Nichtsdestotrotz: Es gibt auch viele Gemeinsamkeiten und es steht außer Frage, dass Boulderkenntnisse sich wunderbar an der Kletterwand unter Beweis stellen – und andersrum! Was braucht es, um den Sprung von der Boulderhalle ins Kletterseil zu schaffen? 

Wobei das “Bouldern” (engl.: Felsbrocken) vor einigen Jahren noch ein Fremdwort war, hat es sich mittlerweile als eigenständige Disziplin beim Klettern ausgebildet und Boulderhallen schießen besonders in größeren Städten wie Pilze aus dem Boden. Beim Bouldern wird an künstlichen Wänden oder am Felsen ohne Seil und, in der Regel, in Absprunghöhe geklettert. In der Halle sind die Wände dabei maximal 4,5m hoch, draußen kann es auch mal höher hinausgehen. Solche “High Balls” sind im Breitensport aber eher nicht üblich. Die Routen sind meist kurz, technisch und kraftintensiv. Der Zugang zum Bouldern ist wenig aufwändig, braucht es doch kein besonderes Sicherungsmaterial oder spezielle Ausrüstung, bis auf die Schuhe.

Zum Anfang etwas aufwändiger, dafür aber umso lohnender ist das Seilklettern. Die körperliche Anstrengung, die geistige Herausforderung, der “Flow”, den die längeren Routen zulassen, oder die vielen Möglichkeiten, die Indoor-Kenntnisse auch an den echten Felsen zu bringen, sind nur ein Paar der Gründe, warum Seilklettern eine echte Bereicherung ist.  

Seilklettern trainiert im Vergleich zum Bouldern anstelle der Maximalkraft vor allem die Kraftausdauer. Taktik ist dabei großgeschrieben: Wer effizient zu klettern weiß, Züge im Vorhinein zu verstehen versucht und Pausen an der Wand einplant, verbleibt mit Kraft für die gesamte Strecke. Klettern fördert die Körperspannung und spricht dabei nicht nur Rücken, Arme und Finger an, sondern auch maßgeblich die Beine und Füße. Wer eine saubere Fußtechnik erlernt und die Beinkraft zu nutzen weiß, dem fällt das Klettern schon viel leichter. Beim Bouldern sind die Einzelzüge dagegen intensiv und gehen oft bis ans Bewegungslimit. Auch in den längeren Kletterrouten arbeitet es sich zwar gegen die Ermüdung an, die Bewegungen sind aber meist gnädiger und auch gelenkschonender. Damit geht einher, dass auch das Verletzungsrisiko beim Seilklettern, sofern ordentlich aufgewärmt und Sicherungstechniken beherrscht werden, geringer ist. Gerade für weniger bewegliche oder auch ältere Menschen ist der Sport daher gut geeignet. Seilklettern ist im Gegensatz zum Bouldern bis ins sehr hohe Alter möglich, wie auch unsere Seniorenklettergruppe beweist. Sie trifft sich regelmäßig im Kletterzentrum und es ist beeindruckend, wie gut unsere Senioren und Seniorinnen klettern können.  

Neben der körperlichen Anstrengung ist die psychische Komponente ein besonders wichtiger und vor allem spannender Part beim Seilklettern. Warum? Der wohl offensichtlichste Unterschied zum Bouldern ist die Höhe. In Kletterhallen sind die Wände durchschnittlich zwischen 8m und 20m hoch. Gerade am Anfang ist es ungewohnt, in dieser Höhe und nur an einem Seil in der Luft zu hängen. Kletternde müssen dem Material trauen lernen, um sich mit gutem Gefühl wortwörtlich auch mal fallen zu lassen. Der Weg dorthin erfordert zu Anfang Übung – bei dem ein oder anderen sogar mehr als das körperliche Training. Gleichzeitig ist genau das wohl eine der größten Klettermotivationen: Die eigenen Grenzen auszutesten, Anspannung und Erleichterung zu erleben und dabei vielleicht auch über sich selbst hinaus zu klettern. Das Schöne daran: Jeder und jede kann die eigenen Limits ganz individuell erkunden und bestimmen, wie weit es geht. Wer einen Abend in der Kletterhalle verbringt, erkennt schnell, dass die Kletternden zwar konzentriert, aber mit großer Sicherheit die Wände geradezu hoch und runter tanzen. Die Länge der Routen erlaubt es dabei, in einen regelrechten Flow zu kommen, weil Körper und Geist ganz auf den Moment fokussiert sind. 

Um überhaupt am Seil sicher in der Wand unterwegs sein zu können, benötigt es entsprechendes Wissen zu Sicherungstechniken – sofern man sich nicht einfach einmal mit erfahrenen Bekannten oder in einem Schnupperkurs einbinden möchte. Was sich kompliziert anhört, ist tatsächlich schnell gelernt: Der richtige Sitz des Klettergurts, der Anseilknoten zur Befestigung am Geschirr und die Handhabung des Sicherungsgeräts sind die grundlegenden Kenntnisse, die zum Start gelernt werden. Erste Schritte in die Höhe beziehungsweise vom Boden aus mit dem Sicherungsgerät lassen sich am besten im „Toprope“ machen. Dabei ist das Seil bereits oben, am Top, eingehängt. Wer darin etwas Erfahrung gesammelt hat, kann sich als nächstes im Vorstieg probieren. Das Seil wird in diesem Fall von unten mitgenommen und auf dem Weg zum Top in die Zwischensicherungen eingehängt. Tritt für Tritt und Zug für Zug arbeitet man sich so die Wand hoch, tauscht sich im Anschluss über Bewegungen und „Clippositionen“ aus und lernt nebenbei mit großer Wahrscheinlichkeit eine sehr offene und unternehmungslustige Klettercommunity kennen.  

Wenn dann die Temperaturen draußen stimmen, oder der Urlaub es zulässt, lohnt es, die Kenntnisse auch an den echten Felsen zu bringen. Kletterausflüge gehören zu den schönsten (Meinung der Autorin!), weil die Kombi aus frischer Luft, körperlicher und geistiger Bewegung, oft unberührten Orten und netten Menschen einfach grundsätzlich zu einem sehr guten Ergebnis führen. 

Wie schafft man nun den Sprung aus der Boulderhalle ins Kletterseil? Das DAV Kletterzentrum Freiburg bietet regelmäßig Kurse an, sowohl zum Einstieg als auch zur Verbesserung von Klettertechniken, der Handhabung unterschiedlicher Sicherungsgeräten oder dem selbstbewussten Umgang mit Stürzen. Wer sich erstmal nur unverbindlich ausprobieren möchte, schaut beim Schnupperklettern vorbei… 

 

Text: Luisa Bilke

Fotos: Hannes Tell

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